ein Engel in meiner Hand

„Bitte lassen Sie mich hier hocken. Mir geht es prächtig. Wirklich. Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, dass ich  verrückt bin. Schauen Sie sich mal die anderen an. Wie blind und schwer die über das lachende Laub stampfen.

Wenn die so weitermachen, dann landen sie sicher in der Klapse. Nun tun Sie schon etwas. Mischen Sie sich ein.“

Ein flüchtiger Blick auf die uniformierte Frau, die vor mir steht, sagt mir, dass es zwecklos ist.

„Kommen Sie, Sie sehen selbst ganz erschöpft aus. Setzen Sie sich zu mir. Hier ist noch Platz.“

Einladend rutsche ich zur Seite und häufele einen weichen Hügel leuchtender Blätter mit meinen Händen zusammen.

„Sie blockieren die Straße. Bitte stehen Sie auf.“

„Nein. Tue ich nicht. Riechen Sie mal. Fühlen Sie.

Breiten Sie Ihre Arme aus. Es gibt genug Raum. Für alle. Auch für Sie. Ich blockiere gar nichts. Das Gegenteil tue ich. Ich entfessele meine Lust. Das stört Sie, ja?

Ja! Das ist es sicherlich. Sie fühlen sich gestört von meiner Lust. Sie wissen nichts mit meiner Lust anzufangen.

Weil Sie selbst keine mehr haben. Sie haben sie verloren, Sie Arme. Kommen Sie, suchen wir sie, gemeinsam.“

Aufgeregt wirbele ich im knisternden Laub umher. Blätter fallen ineinander und liebkosen sich. Die Frau über mir starrt mich vorwurfsvoll an.

„Seien Sie nicht so störrisch. Reichen Sie mir Ihre Hand. Ich helfe Ihnen auf.“

„Nein. Danke. Danke vielmals. Ich brauche keine Hilfe. Ich sagte ja, ich fühle mich wunderbar. Sie sind es, die etwas braucht. Sie wirken so … so … vereist. Frieren Sie? Gar keine Freude mehr am Leben, was? Kein Wunder, bei diesem Job. Sagen Sie, machen Sie das jeden Tag, die Straße frei räumen von Störungen? Ja, ja. Da müssen Sie durchdrehen. Sie Ärmste.“

Mitfühlend sehe ich mir die Frau genauer an. Während sie ein Handy an ihren Mund presst, als wolle sie es küssen. Aber sie scheint zu murmeln. Küssen? Nein. Das hat sie gewiss verlernt. Wer kann schon küssen, wenn sie tagtäglich nach dem Rechten sehen muss ….

 

 

 

 

 

 

 

copyright Lelia Strysewske – ein Engel in meiner Hand